Zypern und seine insularen Eigengewächse | DiePresse.com

2022-05-29 07:53:48 By : Ms. wendy wang

Die Sommelier-Elite kürte im Vorjahr in Zypern ihren Europameister. Doch schon länger bläst die Insel den Staub von der uralten Weinkultur.

Nicht schlecht, sich im Anassa einzukasernieren. Doch für George Kassianos, Präsident der Zypriotischen Sommelier Association, ging es vor ein paar Monaten nicht an den lockenden Privatstrand des luxuriösen Hotels. Er zog sich hier vielmehr zurück, um sich auf die Sommelier-Europameisterschaft vorzubereiten. Der Zypriote hat sehr lang an dem Bewerb gearbeitet, denn dieser hätte, wäre da nicht Corona, schon im Jahr zuvor in Limassol stattfinden sollen. Aber auch ohne Großereignis mit den besten Weinkennern Europas fährt Kassianos gern in die Berge, nach Vouni, ein kalkiges Plateau, das Touristen vor allem wegen des Klosters Chrysoroyiatissa kennen.

Die Dreifaltigkeit des modernen Zypern-Weinbaus findet man ein paar Bergstraßenkilometer weiter: Ein älterer Herr mit Sonnenbrille, ein markanter Schnauzbart­träger und ein orthodoxer Priester lächeln gemeinsam vom Weinetikett. Es sind Akis Zambartas, Abt Dionysios und Andreas Kyriakides, der das Weingut Vouni Panayia in den Bergen oberhalb von Paphos führt.

Gemeinsam stellten sie die erste Generation der unabhängigen Weinmacher in Zypern dar, die sich nicht auf den alten Ruhm der sogenannten Insel der Aphrodite verlassen wollten. Der gründete auf einem Produkt, das vor allem die Genossenschaft Keo nach der Unabhängigkeit der Insel von den Briten in großen Mengen füllte: dem süßen „Commandaria“. Benannt nach der Ordenskommandantur der Johanniter bei Kolossi, stellt dieser süße Wein aus getrockneten Trauben mittlerweile ein ruhmvolles Relikt dar.

Die Urlaubenden am Pool oder im mondänen neuen Beachclub Antasia in Paphos interessiert wenig, dass es sich um den ältesten Markenwein der Welt handelt. Wenn schon süß, dann darf es ein Cocktail als Sundowner in der schicken Anlage sein, die mit asiatischer Küche (Kabeljau mit Misosauce) und Meerblick am Lungomare punktet.

Auch Pavlos Kyriakides keltert aus der Hauptrebsorte des „Commandaria“, dem Mavro, mit seinen Brüdern lieber Rosé. Der leichte rosa Wein kommt generell bestens an, nahezu jede dritte Flasche der Inselweingüter wird damit befüllt. Doch generell steht die Weinszene aktuell an einem Scheideweg: „Die Frage ist, welche Experimente wir weiterführen“, wird Pavlos Kyriakides, Sohn des Pioniers von Vouni Panayia, nachdenklich. Denn mittlerweile füllen gut zwanzig sogenannte Mikrovinifikationen seine Flaschenregale an der Passhöhe der zypriotischen Berge.

Sie alle tragen künstlerische Etiketten, auch die erwähnte Hommage an seinen Vater und den Abt gehört dazu. Wie überall in der Weinwelt sind längere Maischestandzeiten („Orange Wines“) hier ein Thema. Doch auch mit verschiedenen Holzfässern und Reifezeiten experimentieren die Kyriakides-Brüder. Vieles an dieser Aufbruchstimmung erinnert frappant an die Wiedergeburt der österreichischen Szene nach dem Weinskandal, etwa die große Frage, welchen Sorten man sich überhaupt widmen soll: Den internationalen wie Chardonnay und Cabernet oder den wiederentdeckten heimischen Trauben wie der Basilissa, einer ursprünglich ungarischen Züchtung, die als Tafeltraube gedacht war?

Vom künstlerischen Standpunkt spräche alles für letztere, deren Etikett eine freundlich lächelnde Bienenkönigin ziert. In den Bergen von Vouni ist eine grundsätzliche Antwort ohnehin schon gegeben: Hier gibt es ausschließlich zypriotische Trauben wie die nach Melone schmeckenden Spourtiko. Auch George Kassianos schenkt bei seinen Wein-Verkostungen im Anassa autochthone Sorten ein. „Sie passen auch hervorragend zur Küche“, sagt er und serviert zum exquisiten Sushi im Fine-Dining-Lokal Helios etwa den 2020er Xynisteri von Marcos Zambartas, einem weiteren Weinlegenden-Sohn.

Weniger dogmatisch sieht das Sophocles Vlassides, dessen moderne Weingutarchitektur wie ein Neonschild vor den kalkweißen Hügeln „Bilderstürmer“ signalisiert. Es ist bezeichnend, dass der in Kalifornien an der renommierten Weinuni Davis ausgebildete Winzer als Erster etwas Naheliegendes für eine von Urlaubern geliebte Insel tat. Vlassides füllte mit dem „Eddial“ den ersten Schaumwein Zyperns, wenn auch aus den internationalen Sorten Chardonnay und Sauvignon.

Zyperns Weinszene am Scheideweg: Welche Sorten und Experimente?

Sommelier Kassianos empfiehlt ihn zu Krabbenlaibchen und hat sichtlich Freude am einheimischen Nachwuchs: „Vor zehn Jahren hätten wir eine solche Weinkarte noch gar nicht machen können“, sieht sich der Anassa-Sommelier auch abseits von Großevents als Botschafter der jungen Weinszene. Auch die Abfüllungen von Theodoros Makarounas stehen für diesen kollektiven Aufbruch. Trauben kultivierte schon sein Urgroßvater, aber der ebenfalls in Kalifornien ausgebildete Winzer, der auch einen MBA aus Leicester führt, startete 2016 das eigene Weingut.

„Die Sorten Xynisteri, Morokanella und Spourtiko oder die Rotweine aus Maratheftiko und Yiannoudi sind die kommenden Stars aus Zypern“, so Makarounas. Soeben hat er weitere zwei Hektar mit Yiannoudi bepflanzt. Neben den ungewöhnlichen Geschmacksbildern, die in einer uniformen Weinwelt per se spannend sind, unterstreicht er den Stolz auf wurzelechte Rebstöcke: „Bei uns gibt es keine gepfropften Reben“, wie sie seit der Reblaus in weiten Teilen Europas Standard sind. Das sollte man auch international wahrnehmen, findet sein Kollege Pavlos Kyriakides und schreibt bei seinen Weinen das französische Synonym dafür, „Franc de pied“, auf die Etiketten.

Der Stolz auf die eigenständigen Gewächse der zypriotischen Bergwelt hat aber nicht nur die Winzer und Winzerinnen gepackt. „Der Thymian von der Akamas-Halbinsel schmeckt einfach anders“, formuliert es der Chefkoch des Anassa-Hotels. Über Chauvinismus ist David Goodridge als gebürtiger Engländer erhaben. Aber so wie sein Barkollege, den alle nur Mister Takis nennen, auf die einheimische Minze für seinen Mojito schwört, baut auch Chef Goodridge lokale Kräuter an. Mehr noch, er hat für das Luxusresort die Genehmigung erwirkt, selbst Käse zu erzeugen. Denn über Halloumi lässt sich mit Zyprioten trefflich streiten – das Wort „Gummi“ aber sollte man grundsätzlich vermeiden, wenn man über den Grillkäse spricht.

Gummi sollte man vermeiden, wenn die Sprache auf Halloumi kommt.

„Die sind doch alle pasteurisiert und industriell hergestellt“, ereifern sich Maria und Elena, die den Gästen gern zeigen, wie echter Käse erzeugt wird. Frische Schafsmilch wird in der Profiküche täglich verarbeitet. Die erste Stufe ist der noch lockere „Dorfkäse“, für den es keinen anderen Namen gibt, weil er immer noch ein traditionelles Produkt der Bergregionen wie des Trodoos-Gebirges darstellt. Er ist auch ein Gradmesser für die Qualität der Meze-Restaurants in den Weinhügeln um Letymbou. Im Idealfall schmeckt er wie ein Mittelding aus Pecorino und Feta – cremig und nur halb schnittfest sollte er sein.

Entsprechend oft finden sich in den Menüs im Anassa daher Zubereitungen mit Käse. Vom einfachen Sa-ganaki, das Goodridge mit frischem Basilikum aus dem Hausgarten und Tomaten im Ofen schmort, bis hin zu den Desserts. Denn die Zypern-Variante eines Frischkäses, der Anari, wird von Elena und Maria ebenso zubereitet – und wahlweise mit dem Nusskrokant „Pasetelaki“ oder dem allgegenwärtigen Carob-Sirup serviert. Die Früchte des Johannisbrotbaums werden auf der Insel vielfältig genutzt, vor allem als flüssiges Süßungsmittel. Aber auch die Anassa-Version einer Caprese bekommt ein Dressing aus Carob verliehen.

Ist Souschefin Elena einmal in Fahrt, bekommt man allein bei der Dessertabteilung einen kompletten Crashkurs in zypriotischer Küche von ihr. Vor allem Palouzes legt sie den Reisenden nahe. Ein ganzes Festival widmet sich schließlich dieser Köstlichkeit jährlich im Bergdorf Vasa Koilaniou nahe Limassol. Basis dieser herbstlichen Spezialität sind die Trauben, deren Most entweder zu den keksartigen Kiofterka getrocknet wird oder zur Königsklasse Soutzoukos verarbeitet wird.

„Die zu machen dauert allerdings bis zu zwei Wochen“, schildert Elena die Prozedur hinter der zur Wurst gedrehten Masse. Sie wird mit Rosengeranien und Zimt aromatisiert und muss immer wieder stocken, ehe der nächste Teil die süße Schlange ergänzt. Vor allem enthält diese ländliche Spezialität auch buchstäblich den Boden Zyperns – „asprochoma“, weiße Kalkerde, reinigt den Traubenmost. Einen süßeren Genuss werden Weinkenner der Insel wohl nicht finden. Es sei denn, sie greifen zu einem Glas vom guten alten Commandaria.

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